Sugar Bois

Textauszug von Anuschka Koos
Verblüffend spielerisch gelingt Julia Walk nun mit Sugar Bois ein entscheidender Rollenwechsel: weg von der Künstlerin, die sich selbst als weibliches Objekt inszeniert, hin zur Choreografin männlicher Figuren. Damit verbunden: die Veränderung des Blicks, das Herantasten und Verhandeln des »Male Gaze«. Dessen Dominanz wird brüchig, wenn eine Frau drei Männerkörper inszeniert, sich Machtverhältnisse während der Performance verschieben und Spannungen zwischen Subjekt und Objekt spürbar werden.
»There are whole genres of art and photography that just focus on the female body, the female form. But no real equivalent for men. And this is because of the Male Gaze. We are not taught to view men’s bodies as sexy or sexual but women’s bodies are always taught to be sexy and sexual.«
@victoriagravesande on TikTok

Ihre Cis-Männer vom Typus weiß, schlank, mittelgroß sind nackt bis auf die Badehose, scrollen gelangweilt auf dem Handy oder hören über AirPods Musik. Ihre abwartenden Haltungen entsprechen keinem Kanon, ähneln weder einem idealtypischen Bildnis vergangener Zeiten noch heutigen androgynen Models oder hyper-trainierten Bodybuildern. Bei den Dreien handelt es sich um Akademiestudenten, die im Shooting wie in der Performance mit farbiger Zuckermasse übergossen und danach als lebensgroße Aufsteller im Schaufenster der Ladengalerie präsentiert werden.

Wenn Julia Walk in ihrer Arbeit hinterfragt, ob eine unproblematische Aneignung fremder Körper überhaupt möglich ist, dann handelt es sich um die Frage einer durch die magersüchtigen Schönheitsideale der Nullerjahre geprägten jungen Frau, deren Körper nie in Größe 32 passen wollte. Die Auseinandersetzung mit Feminismus und Genderforschung lässt sie zunächst die eigene Physis zum Thema ihrer Arbeit machen. Ihre Vorbilder – die, die nicht der Norm entsprechen – findet sie auf Instagram und TikTok. Die richtigen Algorithmen vorausgesetzt, können Social Media bei der Suche nach dem eigenen Selbstverständnis eine Orientierung bieten, die weitaus diverser ist als das uniforme Diktat der Mode- und Filmindustrie. Ihre persönlichen, widersprüchlichen Erfahrungen mit dem eigenen Körper und Geschlecht bringt Julia Walk mit großer Offenheit und Sensibilität nun ihren Sugar Bois entgegen und inszeniert in zuckersüßem Farbenrausch ein subtiles Bild männlicher Fragilität.
Text erschienen auf https://eres-stiftung.de/base/sugar-bois

Foto: Ava Ella Kalff, Julia Walk, Ludiwig Dressler
Sugar Bois, Garden Edition, 2021, Foto: Julia Walk
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